„Der Lehrraum ist größer als der physische Raum“

Tobias Scheeder und Bastian Koch haben einen der am häufigsten nachgefragten Auftritte beim University:Future Festival 2023 hingelegt. Ihre Präsentation zum Thema „Auf dem Weg zu neuen Lehr- und Lernräumen“ war nicht nur auf der Partnerbühne im Bochumer O-Werk gut besucht, sondern zog auch bei der Übertragung im digitalen Raum viele Zuschauerinnen und Zuschauern an. Und auch nach ihrer knapp halbstündigen Präsentation gab es viele Fragen und Anmerkungen zu ihrem Thema. Grund genug, sich mit den beiden noch einmal ausführlich zu unterhalten. Scheeder und Koch sind an der Technischen Hochschule in Köln Teil des von der Stiftung für Innovation in der Hochschullehre geförderten Projekts REDiEE, in dem ein neues Transfermodell entwickelt wird, mit dessen Hilfe künftig hybride Lehr- und Lernsettings auf die gesamte Hochschule ausgeweitet werden sollen. Im Teilprojekt „REDiEE Räume“ erforschen Scheeder und Koch mit ihrem Team Lösungsansätze und Wirkfaktoren bei der Gestaltung hybrider Lehrräume. Im Interview verraten die beiden ihre Erfahrungen aus der Arbeit an neuen Lehrraum-Konzepten und geben erste Nutzungsempfehlungen zur Neugestaltung von Räumen an der Hochschule.

 

Herr Scheeder, Herr Koch, Sie beschäftigen sich in ihrem Projekt intensiv mit innovativen Lehrräumen. Was dürfte aus Ihrer Sicht in einem klassischen Seminarraum der Hochschule noch bleiben?

Tobias Scheeder: (schmunzelt) Wahrscheinlich nicht viel. Bleiben dürften die Beleuchtung und auch die Stühle – sofern sie Rollen haben. Genauso die beschreibbaren Flächen – ob analog oder digital. Sie sind für den kreativen Austausch sinnvoll. Die Tische werden vermutlich zu groß sein. Und viel mehr ist in den meisten Seminarräumen aktuell ja auch gar nicht drin.

 

Es klingt, als sei Veränderung notwendig. Woran haben Sie gemerkt, dass die vorhandenen Raumstrukturen oft nicht mehr zeitgemäß sind?

Scheeder: Bei uns an der TH Köln gab es verschiedene Studien, in denen analysiert wurde, warum einige Studiengänge sich nur teilweise wie gewünscht entwickelt haben. Ein Grund war dabei sehr oft, dass Konzepte für die technologische Ausstattung der Lehr-/Lernräume fehlten. Dass es um die Digitalisierung von Klassenräumen allgemein vielerorts nicht gut bestellt ist, ist ebenfalls bekannt und durch Studien belegt. Deswegen haben wir das Thema in unser Projekt aufgenommen.

Bastian Koch: Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren wahrscheinlich jeder gemerkt hat, dass ein Lehr-/Lernraum oft größer ist als nur der physische Raum. Viele Veranstaltungen finden virtuell oder hybrid statt, spätestens dadurch sind neue Anforderungen an einen modernen Lehr-/Lernraum hinzugekommen. Für uns war und ist es erstaunlich, dass der Effekt der Umgebung und des Raumes bisher so wenig Beachtung findet. Mit unserem Projekt wollen wir erreichen, dass die Hochschule wieder der Ort ist, an dem innovative Konzepte zuerst ausprobiert und implementiert werden.

Scheeder: Man kann sagen: Der Raum ist der dritte Pädagoge. Und die Gestaltung von Räumen ist ein Spezialgebiet. In Deutschland werden viele Lehr-/Lernräume noch nach veralteten Regeln ausgestattet. Um das zu ändern, müssen wir akzeptieren, dass gerade im Hochschulkontext die Ausstattung von Räumen keine alleinige Aufgabe mehr für die Innenarchitektur ist. Da braucht es breitere Expertise. Ein Beispiel: Im virtuellen Raum muss ich nicht mehr laufen, um von A nach B zu kommen. Dort gibt es andere Navigationsmöglichkeiten, die in einem entsprechenden Raumkonzept berücksichtigt werden müssen. Es braucht also Fachleute für den physischen sowie den virtuellen Raum. Dazu ist aber ein sogenannter „digitaler Zwilling“ erforderlich, der die Verbindung zwischen beiden Welten schafft.

 

Welche Bereiche sind denn in Ihrem Projekt noch beteiligt?

Koch: Die besten Antworten bekommt man, wenn man transdisziplinär zusammenarbeitet und für alle Bereiche Spezialisten einbezieht. Wir haben also Innenarchitekt*innen, Softwareentwickler*innen, Hochschuldidaktiker*innen und Designer*innen im Team und tauschen uns darüber hinaus intensiv mit der Hochschul-IT und natürlich Lehrenden aus. Aber auch mit dem Gebäudemanagement, denn mehr Displays im Raum bedeuten beispielsweise auch, dass künftig ein Lehr-/Lernraum anders gereinigt werden muss.

 

So viel Veränderung muss im Fall der Fälle sicher auch gut erklärt werden.

Koch: Absolut, deswegen braucht man zudem auch Prozess- und Methodenkompetenz. Veränderung kann auch schnell für Verunsicherung bei Menschen sorgen, von daher muss man ihnen aufzeigen, dass man einen Plan hat, der aber auch Spielraum zum Reagieren lässt. Gerade die Nutzererfahrung für hybrides Lehren und Lernen ist für uns besonders wichtig und soll ins Projekt einfließen. Dazu gehört eine ganzheitliche Betrachtung des Raumes: Wie finde den Raum im Gebäude? Wie komme ich in den Raum? Ist er jederzeit zugänglich? Habe ich einen eigenen Account, in dem meine Werkzeuge hinterlegt sind oder ist alles öffentlich zugänglich? Was passiert, wenn ich vergesse, mich auszuloggen? Welche IT-Services kann ich nutzen? Die Antworten auf solche Fragen sind entscheidend dafür, ob ein neuer Raum angenommen wird oder nicht.

 

Soll am Ende des Projekts denn auch ein physischer Raum an der TH Köln entstehen?

Scheeder: Auf jeden Fall. Wir gestalten im Rahmen des Projekts insgesamt fünf Räume prototypisch neu, die unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Wir sind sehr gespannt, wie sie am Ende aussehen und wie sie in den Hochschulalltag integriert werden.

 

Sie haben schon jetzt zahlreiche Erfahrungen gesammelt und vier konkrete Handlungsempfehlungen verfasst. Was können wir durch Ihre Arbeit lernen?

Scheeder: Ganz wichtig ist die Partizipation und Ganzheitlichkeit. Das heißt, dass wir im Veränderungsprozess unbedingt alle beteiligten Personen mitnehmen müssen. Es bringt nichts, wenn die Hochschulleitung entscheidet, dass neue Lehrräume benötigt werden und dann irgendein Unternehmen beauftragt wird, das den Top-Ausbildungsraum gestaltet. Wenn dieser an den Bedürfnissen der Lehrenden oder der Studierenden vorbeigeht, bringt es nichts. Teilhabe ist also ein sehr wichtiger Aspekt.

Koch: Dann gibt es die Punkte Autonomie und Experimentiermöglichkeiten. Man muss einen Weg finden, den beteiligten Akteuren beides einzuräumen, ohne dass übergeordnete Ziele wie die IT-Sicherheit gefährdet werden. Dafür benötigt es auch ein kluges IT-Management.

 

Sie sprechen auch oft von Mut und Geschwindigkeit.

Scheeder: Mut ist wichtig, denn ohne Mut fängt man erst gar nicht an etwas zu ändern. Nicht gut durchdachte Lehrräume verhindern gute Lehre. Mangelhafte Akustik oder unbequeme Stühle zum Beispiel haben einen enormen Einfluss auf die Qualität von Lehre. Und Mut ist wichtig, denn wir müssen Sachen ausprobieren und an der ein oder anderen Stelle auch mal einen Rückschlag verkraften. Wir versuchen schließlich, etwas Neues zu gestalten.

Koch: Unser letzter Punkt lautet Nutzerzentrierung und Flexibilität. Hochschulen existieren für Menschen, die lernen wollen, und mittlerweile kann man überall lernen. Die Frage ist also: Was ist der Wert einer Hochschule als Ort? Wenn man den Ort also attraktiv machen will, muss man sich fragen: Was brauchen Studierende und Lehrende vor Ort?

 

 

Zu den Personen:

Tobias Scheeder

 

Tobias Scheeder arbeitet seit 2019 an der Fakultät für Architektur der TH Köln im Fachbereich Innenarchitektur. Er ist Leiter des Teilprojekts „REDiEE-Räume“ im Projekt REDiEE, darüber hinaus verantwortet er an der TH Köln das CAM-LAB „Computer Aided Manufacturing Laboratory“. Scheeder hat an der Hochschule Mainz Innenarchitektur studiert und sich während seines Masterstudiums schwerpunktmäßig mit der Gestaltung virtueller Welten befasst, parallel arbeitete er in Mainz als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachrichtung Innenarchitektur. Heute führt er außerdem ein Architekturbüro. 

Bastian Koch

 

Bastian Koch arbeitet als selbstständiger Innovations- und Unternehmensberater. Er hat über 15 Jahre Berufserfahrung als Designer, Berater und Design Manager und ist in dieser Funktion Teil des REDiEE-Projekts. Studiert hat Koch an der TH Köln im Fachbereich Design, später war er unter anderem in einer Designagentur in Berlin tätig. Zu seinen Spezialgebieten zählen Themen wie nutzerzentrierte Innovationsprozesse, Design Thinking, Servicedesign und Prototyping.

 

 

Hier gibt’s alle Informationen zum Projekt REDiEE.

 

Im Rahmen ihres Vortrags beim University:Future Festival 2023 haben Tobias Scheeder und Bastian Koch folgende acht Thesen aufgestellt und beleuchtet:

1.       Der Raum bestimmt das Denken.

2.       Das Denken bestimmt den Raum.

3.       Der Lehr- und Lernraum ist größer als der physische Raum.

4.       Es braucht Mut zu neuen Raumnutzungskonzepten.

5.       Neue Räume brauchen neue Rollen.

6.       Eine Erweiterung der Raumerfahrung durch digitale Kommunikations- und Kollaborationsumgebungen erfordert eine Anpassung der IT-Strategie.

7.       Hybride Lehr- und Lernerfahrungen müssen raumübergreifend und mehrdimensional als NutzerInnenerfahrung gedacht und gestaltet werden.

8.       Beschleunigte technologische Entwicklungen werden zur Herausforderung für rigide Organisationen. Hochschulen brauchen ein hohes Maß an Kreativität, Agilität und Fehlertoleranz.

 

Den U:FF-Beitrag von Tobias Scheeder und Bastian Koch gibt’s im Video auf YouTube in voller Länge.