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„Zeit nehmen, mit ChatGPT zu arbeiten – nicht zu spielen“

In unserer Rubrik „Gastbeitrag“ setzen sich Menschen aus der Welt der digitalen Lehre mit relevanten und oft aktuellen Themen auseinander. Das Thema, das über die Grenzen der Hochschulen hinaus seit Wochen intensiv diskutiert wird, lautet ChatGPT. Nadine Lordick, M. A. ist Mitarbeiterin im Projekt KI:edu.nrw am Schreibzentrum des Zentrums für Wissenschaftsdidaktik der Ruhr-Universität Bochum und Expertin für KI-Schreibtools. Sie hat sich ihre eigenen Gedanken zum Thema ChatGPT gemacht und einen sehr lesenswerten Artikel verfasst.

 

Gastbeitrag von Nadine Lordick

Seminarraum
© Nadine Lordick, Foto: Sebastian Strauß

„Mit der Popularität von ChatGPT steigen auch die Sorgen. Die größte Sorge in den Medien scheint zu sein, dass Studierende ihre Hausarbeiten nur noch von Künstlicher Intelligenz (KI) verfassen lassen – so die Aufmacher vieler oft alarmistischer Artikel zu ChatGPT. Das ist aus vielen Gründen ein problematischer Ansatz – nicht zuletzt deswegen, weil somit im Raum steht: Viele Studierende wollen und werden ChatGPT nutzen, um zu täuschen.

Schon vor ChatGPT gab es die Möglichkeit zur Täuschung – und dennoch sind Täuschungsversuche an den Hochschulen nicht die Regel. Offensichtlich haben also die meisten Studierenden ein Interesse daran, Dinge zu lernen, und sie haben Werte guter wissenschaftlicher Praxis und akademischer Integrität verinnerlicht.

ChatGPT ist eine neue Möglichkeit zum Täuschen, nicht aber der Anlass. Aus didaktischer Perspektive sollte man sich vielmehr die Frage stellen, wieso es Situationen gibt, in denen Studierende lieber auf Ghostwriting o. ä. zurückgreifen, als selbst Hausarbeiten zu schreiben. Die Antworten darauf sind vielfältig. Man müsste sie jeweils einzeln adressieren (zu hoher Workload, nicht motivierende oder zu schwierige Aufgaben, Sorge ums Bestehen, kein Interesse – es gibt viele mögliche Gründe). Einiges davon liegt in der Hand der Lehrenden, die den Studierenden aufzeigen können, welcher Wert in der eigenen Erarbeitung der Prüfungsleistung liegt. Das galt schon vor ChatGPT und gilt danach genauso. Dass das aus pragmatischer Perspektive oft utopisch erscheint, hat viel mehr mit strukturellen Gründen zu tun als mit ChatGPT.

 

ChatGPT kann nicht auf Knopfdruck eine Hausarbeit erstellen

Übrigens setzt die Sorge vor KI-generierten Hausarbeiten auch voraus, dass ChatGPT auf Knopfdruck eine Hausarbeit erstellen könnte: Das ist derzeit nicht der Fall. Solche Hilfsmittel können aber an sehr verschiedenen Stellen und mit unterschiedlicher Funktion im Schreibprozess zum Einsatz kommen. Ob es sich dann um schlechte wissenschaftliche Praxis handelt oder nicht, kann nicht pauschal beantwortet werden.

Jenseits dieser Debatte über Täuschungsversuche ist voraussehbar: Anwendungen wie ChatGPT oder DeepL Write werden Schreibprozesse verändern, so wie das Papier, die Schreibmaschine und Textverarbeitungsprogramme sie verändert haben. Gern wird der Buchdruck und die damit einhergehende Alphabetisierung der Gesellschaft als Beispiel für eine vergleichbare Revolution im Bereich der Schriftlichkeit genannt – nur, dass alles gar nicht so schnell und revolutionär ablief, wie es heute erscheint. Kontroversen über das Schreiben gab es auch schon davor und danach; übrigens auch in Kontexten, in denen Schriftlichkeit sich überhaupt erst etablieren musste, aufgrund der Sorge, dass dadurch wichtige Aspekte einer mündlichen Kultur verdrängt werden. Das ist zum Teil natürlich auch passiert, aber vieles Wichtige ist auch erhalten geblieben und immer noch von Wert. Wir müssen – und können! – mitentscheiden und mitgestalten. Veränderungen passieren nicht einfach, sondern entstehen aus den Handlungen vieler einzelner. Deshalb sind jetzt Lehrende wie Studierende gefragt, sich mit einigen grundlegenden Fragen zum Stellenwert des Schreibens in der Wissenschaft auseinanderzusetzen.

Für einen reflektierten Umgang mit Anwendungen wie ChatGPT ist es wichtig zu verstehen, wie sie funktionieren, was sie leisten können und was nicht. Ebenso wichtig ist es, darüber nachzudenken, was durch das Schreiben erreicht werden soll. Die Studierenden damit allein zu lassen, könnte dazu führen, dass die technikversierten unter ihnen die Möglichkeiten besser zu nutzen wissen, während andere abgehängt werden. Zudem ist abzusehen, dass solche Anwendungen kommerzialisiert werden (da, wo sie es nicht schon sind). Das könnte die Schere zwischen stärkeren und schwächeren Studierenden (wie bei vielen neuen Technologien) in bedenklicher Weise auseinandergehen lassen. Deshalb sollten Lehrende sich mit diesen Tools auseinandersetzen.

 

ChatGPT generiert solide und richtig gute Vorschläge – aber auch schlechte

Im Selbstversuch werden die derzeit vielfach diskutierten Probleme und Lösungsansätze sehr schnell greifbar. Um Ideen für eine Fragestellung für eine Hausarbeit zu finden, kann ChatGPT hilfreich sein. Es generiert im Versuch einige solide Vorschläge und einige richtig gute. Aber auch schlechte – das setzt Expertise voraus, die Studierende in einem Seminar im besten Fall erlangen. Beim Versuch, mithilfe von ChatGPT einen Absatz über ein bestimmtes Thema zu generieren, sind einige Fehler enthalten. Einer Expertin fallen diese direkt ins Auge, sie sind aber durchaus plausibel, sodass diese Stellen auch als korrekt erscheinen könnten: ChatGPT gibt eben die wahrscheinlichste Antwort, nicht die richtige, und oft decken sich diese, aber nicht immer. Das Ergebnis, dass durch ChatGPT auf den Prompt hin generiert wird, einen Absatz wissenschaftlich umzuformulieren, klingt gut. Aus schreibdidaktischer Perspektive ist das spannend: Man könnte mit Studierenden gemeinsam analysieren, was es eigentlich heißt, dass ein Text ‚wissenschaftlich‘ formuliert ist – eine Frage, die viele sich stellen.

Schreiben ist ein komplexer Prozess, und an jeder einzelnen Stelle muss man ganz genau hinschauen, wie KI-Schreibanwendungen zum Einsatz kommen können. Die kurzen Beispiele zeigen, wie viel Reflexion notwendig ist, um sich dem zu nähern. Und es gibt noch viel mehr Anwendungsbereiche. Deshalb wird es wichtig sein, dass Lehrende sich die Zeit nehmen, in nächster Zeit mit Anwendungen dieser Art arbeiten – nicht spielen, wie es derzeit viel passiert, und was in der Regel für den Wow-Effekt sorgt – sondern ernsthaft arbeiten, und sich dann Gedanken darüber machen, wo der Einsatz in der Lehre sinnvoll ist. Unterstützen und beraten können dabei didaktische Einrichtungen wie Schreibzentren, die es an vielen Universitäten gibt. Im besten Fall werden sowohl Praxis als auch Grundlagenforschung Antworten auf viele der gerade gestellten Fragen liefern, aber das ist ein Prozess, der auch ein wenig Zeit braucht – die wir uns nehmen sollten.

Wir sind gerade in einer Werte-Diskussion, weniger in einer Technik-Diskussion (auch wenn zweiteres das erste oft anstößt). Es geht nicht darum, was machbar ist, sondern darum, was gemacht werden soll. Das verschwindet manchmal hinter den vielfach geteilten Beispielen, die Erstaunen und Sorge hervorrufen, und spitzt sich in der plakativen Aussage zu, dass Studierende jetzt keine Hausarbeiten mehr schreiben werden. KI-Schreibtools wie ChatGPT werden Lehre vielleicht nicht einfacher machen; einfach war (gute) Lehre aber ohnehin noch nie.“