Kristina Seidler-Rolf: „Bei KomVor Pflege geht’s um die drei Kernkompetenzen in der Pflege“

Planen, Steuern und Evaluieren sind in der professionellen Pflege die drei Kernkompetenzen, auch Vorbehaltsaufgaben genannt. Im Projekt „Kompetenzentwicklung durch digitale OER-Lehr-Lernmaterialien für die Vorbehaltsaufgaben der Pflege – kurz KomVor Pflege – werden für diese wichtigen Aufgaben digitale Lehr-/Lernmaterialien erstellt. Projektleiterin Kristina Seidler-Rolf von der Hochschule Bielefeld verrät im Interview, wie es vom Gesetz zum wissenschaftlichen Projekt kam, wie wichtig Fallbeispiele in der Lehrpraxis sind und wie die Zusammenarbeit unter den beteiligten Hochschulen läuft. Neben der konsortialführenden Hochschule Bielefeld sind auch die Hochschule für Gesundheit in Bochum, die Universität zu Köln sowie die Universität Paderborn involviert. KomVor Pflege ist eines von 18 Projekten aus der zweiten Förderrunde der OERContent.nrw-Förderlinie und soll 2024 fertiggestellt sein. Die OER-Materialien werden anschließend auf dem Landesportal ORCA.nrw abrufbar sein.

 

Frau Seidler-Rolf, die Pflegestudiengänge zählen zu den jüngeren an Hochschulen. Warum ist es generell sinnvoll, im Pflegebereich ein Studium anzubieten?

Kristina Seidler-Rolf: Beides ist wichtig – sowohl die Ausbildung als auch das Studium. Die Anforderungen an die Pflege sind in der jüngeren Vergangenheit immer anspruchsvoller geworden. Gerade wenn es um hochkomplexe und intensive Pflege geht, kann das Studium sehr sinnvoll sein. Man taucht noch tiefer ein in die Pflegewissenschaft und -forschung.

 

Mit dem Projekt KomVor Pflege wollen Sie und Ihr Team einen Beitrag dazu leisten. Wie entstand die Idee zum Projekt?

Seidler-Rolf: Vor unserem aktuellen Projekt lief an der Hochschule in Bielefeld schon das Projekt DiFuSiN, in dem es um den Einsatz von digitalen Tools in der Pflege ging. Ich bin damals noch nicht Teil des Teams gewesen, die Kollegen haben mir aber berichtet, dass sie dabei die Bedeutung von digitalen Lehr-/Lernmaterialien erkannt haben – sowohl für Studierende als auch für Lehrende. Als dann in Deutschland das Pflegeberufegesetz eingeführt worden ist, sind auch die Vorbehaltsaufgaben in die hochschulische Ausbildung mit aufgenommen worden, sodass der Gedanke aufkam, diesen wichtigen Part in einem neuen Projekt zu vertiefen. Und zu guter Letzt hat sicher auch die Corona-Pandemie den Prozess angeschoben, denn es war klar, dass es mehr digitales Material in unserem Bereich braucht.

 

Auf den eben angesprochenen Vorbehaltsaufgaben basiert Ihr Projekt, diese werden sogar im Projektnamen genannt. Was sind aber genau Vorbehaltsaufgaben in der Pflege?

Seidler-Rolf: Die Vorbehaltsaufgaben sind die Kernkompetenzen in der professionellen Pflege und Voraussetzung für eine Berufszulassung in unserem Bereich. Sie heißen so, weil sie nach dem Pflegeberufegesetz ausschließlich dem ausgebildeten Fachpersonal vorbehalten sind. Dazu gehört erstens den Pflegebedarf einer Person zu erkennen und richtig einzuschätzen, zweitens den Pflegeprozess zu organisieren und zu steuern und drittens die Pflegemaßnahmen zu bestimmten Zeitpunkten zu evaluieren und damit die Qualität der Pflege zu sichern. Diese drei gesetzlich festgelegten Vorbehaltsaufgaben nehmen wir in unserem Projekt auf, denn es unterteilt sich in die Phasen: planen, steuern und evaluieren.

 

Darüber hinaus behandeln Sie im Projekt die Pflegephänomene Schmerz, Immobilität und Gesundheitskompetenz.

Seidler-Rolf: Genau, wir entwickeln Fallbeispiele zu allen drei Pflegephänomenen und haben uns aufgeteilt: Jede der drei beteiligten Hochschulen erstellt Fälle für jeweils ein Phänomen. Wir an der Hochschule Bielefeld kümmern uns um die Gesundheitskompetenz, also die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen und sie für die Gesundheit von sich selbst und anderen zu nutzen. Studierende üben das exemplarisch an mehreren Fällen, um das Wissen später in der Praxis einsetzen zu können.

 

Wie werden die Fälle entworfen?

Seidler-Rolf: Das Wichtigste ist, dass sie nicht zu konstruiert, sondern authentisch sind. Wir konzipieren einige Fälle im Team selbst, andere sind real und werden von uns noch angepasst oder erweitert. Manchmal lassen wir zum Beispiel einen real existierenden Fall etwas komplexer werden oder nehmen den ein oder anderen Punkt noch mit auf. Zum einen, damit ein systematischer Aufbau aller Inhalte funktioniert, aber auch, damit jeder Fall an sich auch didaktisch sinnvoll ist.

 

Wie soll später das Material aussehen?

Seidler-Rolf: In der Praxis könnte es in einem Fall zum Beispiel um die Gesundheitskompetenz bei einem Menschen mit Asthma gehen. Eine Frage wäre dann: Sind die Maßnahmen, die bei der Person getroffen wurden, um sich mit der eigenen Gesundheit zu beschäftigen, sinnvoll und ausreichend? Das würde unter die dritte Vorbehaltsaufgabe, also das Evaluieren, fallen. Da bei unserem Projekt immer das selbstgesteuerte Lernen im digitalen Raum im Fokus steht, kann das Material ganz unterschiedlich aussehen. Wir arbeiten mit Texten, Videos, audiogestützten Inhalten, und in alle Einheiten sind H5P-Elemente implementiert, die selbst gesteuert werden können.

 

Wie läuft die Zusammenarbeit unter den beteiligten Hochschulen?

Seidler-Rolf: Wir hatten eine Kick-off-Veranstaltung mit allen beteiligten Hochschulen. Jetzt findet mit allen Projektbeteiligten monatlich ein Online-Jour-Fixe statt, in dem wir eruieren, wie der Stand bei den einzelnen Partnern ist. Auf der Ebene der wissenschaftlichen Mitarbeitenden treffen wir uns alle 14 Tage. Dann tauschen wir uns inhaltlich über Schwerpunktthemen aus. Zudem gibt’s natürlich gerade bei uns als Hochschule Bielefeld noch reichlich andere Absprachen, weil wir die Konsortialführung innehaben.

 

Bis zur Veröffentlichung auf ORCA.nrw haben Sie noch ein wenig Zeit, aber was müsste passieren, damit KomVor Pflege ein voller Erfolg wird?

Seidler-Rolf: Ich wünsche mir, dass die Materialien von Lehrenden und Studierenden gut und viel genutzt werden. Wenn sie später noch für den jeweiligen Bereich angepasst würden, wäre das optimal. Und natürlich würden wir uns freuen, wenn wir nach der Veröffentlichung reichlich Rückmeldungen bekommen würden, um das Feedback noch einarbeiten zu können. Dann hätten wir einiges erreicht.

 

Porträt von Kristina Seidler-Rolf

 

Zur Person:

Kristina Seidler-Rolf (49) ist gelernte Krankenschwester mit Weiterbildung in der Fachrichtung Palliativ-Care und mehrjähriger Praxiserfahrung in diesem Bereich. Über eine Stelle als Dozentin an einer Pflegeschule fand sie den Weg an die Hochschule und startete 2017 ihr Bachelor-Studium der Pflegewissenschaft, 2021 schloss sie ihren Master in Pflegepädagogik ab. Seit Juli 2022 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bielefeld und leitet dort das Projekt KomVor Pflege.