Robin Schütgens: „Die Künste bieten einen riesigen Schatz an OER“

37 Hochschulen in Nordrhein-Westfalen tragen das Landesportal ORCA.nrw. An ihnen steht Lehrenden und Studierenden, die sich mit offenen Bildungsressourcen (OER) auseinandersetzen, eine Netzwerkstelle als Ansprechperson Nummer eins zur Seite. Robin Schütgens ist eine dieser Netzwerkstellen – an der Folkwang Universität der Künste in Essen. In der dritten Ausgabe des „Netzwerkstellen-Porträt“ erklärt er die Besonderheit seiner Arbeit an einer Kunst- und Musikhochschule, welche technischen Hürden und Chancen mit der Digitalisierung in der künstlerischen Ausbildung verbunden sind und was Michaelangelo mit OER zu tun hat. 

 

Robin Schütgens, Sie sind von Ihrer Netzwerkstellen-Kollegin Bianca Geurden nominiert worden, die gerne von Ihnen wissen würde: Stellen Sie als Netzwerkstelle an einer Kunst- und Musikhochschule fest, dass es eine eigene oder erweiterte OER-Strategie gegenüber Fachhochschulen und Universitäten braucht? Und gibt es sogar Sichtweisen aus diesen Fachbereichen, die OER anders, vielleicht sogar kreativer, beleuchten? 

Robin Schütgens: Das ist eine super spannende Frage. Ich bin mir gar nicht so sicher, dass es eine eigene oder erweiterte Strategie braucht. Die Herausforderung ist, dass wir an Kunst- und Musikhochschulen an vielen Stellen noch Vorarbeit leisten müssen. Der Diskurs über Lehre und Lernen ist an den größeren Hochschulen weiter fortgeschritten, und wir können viel vom Netzwerk lernen. Der Punkt Kreativität wird uns natürlich oft zugeschrieben. Aber ist ein Dialog in einem Theaterstück zwangsläufig kreativer als ein Buch in der Biologie? Da finde ich die Abgrenzung schwierig. Wir sind aber sicher auf andere – oder auch ungewöhnliche – Materialien angewiesen. Kreativität kommt für mich vor allem zum Tragen, wenn es um den Einsatz der Materialien geht.

 

Welche Studienrichtungen werden an der Folkwang Universität der Künste angeboten?

Schütgens: Die Folkwang ist eine Kunst- und Musikhochschule. Bei uns findet sich also von Musik über Tanz bis hin zu Theater, Gestaltung und Wissenschaft das gesamte Spektrum unter einem Dach. Im Rahmen der Instrumentalausbildung bieten wir unter anderem Alte und Neue Musik sowie Jazz, Populäre Musik und Komposition. Bei uns kann man aber auch Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Lehramt Musik studieren. Darüber hinaus bieten wir Tanz, Musical, Regie und Schauspiel. Und dann gibt es natürlich Kunst- und Designwissenschaft sowie Fotografie, Industrial Design oder Kommunikationsdesign. Das Angebot ist vielschichtig und interdisziplinär, das macht es sehr spannend.

 

Bild der Alten Abtei auf dem Campus in Essen Werden

Blick auf die Alte Abtei in Essen-Werden, das Hauptgebäude der Folkwang   © Franziska Goetzen

 

Worin unterscheidet sich die Kunst- und Musikhochschule von anderen Unis und Hochschulen?

Schütgens: Ein zentraler Unterschied ist: Wir sind kleiner und dadurch sehr familiär. Dafür haben wir aber einen sehr guten Betreuungsschlüssel, weil wir viel in Einzel- oder Kleingruppen-Unterricht arbeiten. Studierende kommen schon mit einer gewissen Expertise, die sie unter anderem in der Eignungsprüfung unter Beweis stellen müssen, an unsere Hochschule. Ich beherrsche also meine Disziplin, komme aber hier an den Punkt, an dem ich mein Können und vor allem mein künstlerisches Wirken noch deutlich ausbauen kann. Das passiert in einem sehr engen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden. Ein anderer Aspekt bei uns ist der ständige Bezug zur Gesellschaft. Die Künste wollen in die Gesellschaft hineinwirken und sind andersherum auch auf ihr Feedback angewiesen. Deswegen müssen wir nah an den Themen der Gesellschaft sein. Ich habe das Gefühl, dass das auch in den Universitäten und Fachhochschulen immer relevanter wird.

 

Das praktische Lernen und Arbeiten ist also ein elementarer Bestandteil an der Folkwang Universität der Künste.

Schütgens: Auf jeden Fall. Der größte Teil des Lehrens und Lernens findet in der Praxis statt und ist sehr intensiv. Bei uns mündet Lehre zudem sehr oft darin, dass Projekte in der Öffentlichkeit präsentiert werden – zum Beispiel auf der Bühne oder in einer Ausstellung.

 

Welche Fachbereiche können von digitalem Lernen am meisten profitieren?

Schütgens: In der Corona-Pandemie haben sich viele Bereiche zum ersten Mal wirklich mit ihrer Rolle in der immer digitaler werdenden Welt auseinandersetzen müssen. Mir fallen einige Dozierende ein, die immer sehr auf „Bühnenpräsenz“ bedacht waren. Wie man einen Raum ausfüllt, war für sie ein zentrales Thema. In den Online-Veranstaltungen hatten sie dann nur einen kleinen schwarzen Punkt, in den sie hereinsprechen konnten. Die Wechselwirkung ist spannend: wie sich zum einen die eigene Disziplin durch die digitalen Medien verändert, zum anderen aber wie man sie nutzen und vielleicht dadurch sogar profitieren können. Mir fällt ein Symposium ein, bei dem Tänzer*innen mit Sensoren ausgestattet wurden, die während des Tanzens die Bewegungen aufgezeichnet und sie in Licht- und Audiospiele übersetzt haben. Mithilfe digitaler Unterstützung wurde also durch Tanz die Licht- und Klang-Atmosphäre im Raum verändert. Es ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass Digitalisierung an den Kunst- und Musikhochschulen gerade ein sehr experimentelles und damit spannendes Feld ist.

 

In welchen Fächern ist digitales Lehren und Lernen generell schwieriger?

Schütgens: Instrumentalunterricht über Videokonferenz war zu Beginn der Pandemie natürlich schnell auf der Agenda. Das haben wir auch probiert, mussten aber an vielen Stellen schnell ganz deutliche Hindernisse feststellen. Es fing bei der technologischen und räumlichen Ausstattung der Studierenden zu Hause an, um Audio und Video adäquat aufzeichnen zu können. Und dann haben wir in besonderem Maße mit der Latenz zu kämpfen – ein Problem, wenn man zusammen musizieren will. Da werden uns aktuell Grenzen aufgezeigt. Sehr praxisorientiertes Lehren und Lernen lässt sich nur mit großem Aufwand ansatzweise nutzbar ins Digitale übersetzen. Aber: Das Beschäftigen mit dem Thema hat die einzelnen Disziplinen noch mal neu beleuchtet.

 

Kann OER dann an einer Kunst- und Musikhochschule überhaupt funktionieren?

Schütgens: Auf jeden Fall! Weil wir ohnehin sehr individuell arbeiten, geht es für mich dabei aber vor allem um die Frage, inwieweit Lehrende bereit sind, dieses spezielle, oft sehr individuelle Material zu teilen. Ich bin mir sicher: Auch individuell erstelltes Material kann für jemand anderen sehr interessant und hilfreich sein. Dabei ist dann jedoch oft der Kontext des Materials in besonderem Maße wichtig.

 

Welches OER-Material würden Sie als Best-Practice-Beispiel heranziehen?

Schütgens: Viele Kunstwerke sind als OER benutzbar. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Studierende in den vergangenen Jahrhunderten an Michelangelos David gelernt haben, wie viele Studierende Goethe auf die Bühne brachten oder wie viele Künstler*innen schon Bach oder Beethoven gespielt haben. In der Kunst ist ein unheimlich großer Schatz an Material vorhanden, der schon offen und frei verfügbar und ganz automatisch und natürlich Teil des Studiums ist. Man lernt von den großen Künstler*innen. Spannend ist, wie das einzelne Werk dann in den Lehrprozess eingebaut wird. Dafür brauche ich dann Materialien, die den Kontext erklären und das Werk einordnen.

 

Was macht das Netzwerk ORCA.nrw so einzigartig?

Schütgens: Die Vielfältigkeit der Personen im Netzwerk. Gerade für uns an den Kunst- und Musikhochschulen ist es unheimlich bereichernd, einen kurzen Draht zu anderen Hochschulen zu haben und Erfahrungswerte abzuschöpfen. Und: Die Kunst- und Musikhochschulen bieten im Netzwerk eine Perspektive, die für die anderen Mitglieder des Netzwerks oft besonders sind.

 

Sie sind aktiv in der Netzwerk-AG zur Kultur des Teilens: Was macht die Kultur in Ihren Augen aus und was ist das Ziel der Gruppe?

Schütgens: Die Kultur des Teilens ist das Fundament, ohne das OER nicht funktionieren kann. Die Frage ist, wie stark Offenheit, Toleranz, das Wir-Gefühl, Kritikfähigkeit oder auch Mut in der Lehre verankert sind. Als Lehrende*r lässt man sich durch das Veröffentlichen von OER ein Stück weit in die Karten gucken, deswegen versuchen wir herauszufinden, was mögliche Hemmschwellen sind und wie man diese aus dem Weg räumen kann. Das finde ich an der AG sehr spannend.

 

Nun dürfen Sie eine Frage an eine Kollegin oder einen Kollegen aus dem Netzwerk ORCA.nrw stellen.

Schütgens: Ich würde gerne an Dr. Sina Nitzsche von der FH Dortmund weitergeben, die vor einiger Zeit die OER-Tracks veröffentlicht hat. Ich würde gerne die Entstehungsgeschichte von ihr erfahren.

 

Vielen Dank fürs Gespräch, die Frage stellen wir in der kommenden Ausgabe des Netzwerkstellen-Porträts.