Frank Homp: „Das Wissen der Vielen im Netzwerk ist einzigartig“

Die Netzwerkstellen von ORCA.nrw haben eine wichtige Aufgabe: An den 37 Universitäten und Hochschulen, die das Landesportal nutzen, sind sie Ansprechperson Nummer eins für Lehrende und Studierende, wenn es um OER und ORCA.nrw geht. Doch was bedeutet das genau? In der neuen Rubrik „Netzwerkstellen-Porträt“ finden wir heraus, wie der Alltag an den Hochschulen aussieht, welche Fragen zu OER am häufigsten aufkommen und stellen auch die Person hinter der wichtigen Arbeit vor. Den Anfang macht Frank Homp (38), seit Dezember 2021 ORCA.nrw-Netzwerkstelle an der Universität Bielefeld, dessen berufliche Erfahrungen ihm bei seiner jetzigen Arbeit in besonderem Maße helfen.

 

Herr Homp, Sie haben Ihr Lehramts-Studium abgebrochen, weil Sie Schwierigkeiten beim Verfassen der Hausarbeiten hatten. Hand aufs Herz: Wenn es 2009 schon ORCA.nrw gegeben hätte, wären Sie heute Lehrer?

Frank Homp: (lacht) Interessante Frage. Ich hatte damals das Gefühl, sehr auf mich alleine gestellt zu sein und dachte dementsprechend auch, dass das Problem nur bei mir liegt. Erst viel später hat eine Professorin mich aufgeklärt, dass das wissenschaftliche Schreiben eine Fähigkeit ist, die die meisten erst erlernen müssen. Wenn es also damals schon ORCA.nrw gegeben hätte, wäre auf jeden Fall ein großer Magnet da gewesen, der Probleme wie meins angezogen und gebündelt hätte. Ich hätte also schon mal gewusst, dass ich nicht alleine bin und Tipps bekommen, was anderen geholfen hat. Und gerade, wenn es um die Grundlagen im Studium geht, sind OER für Studierende natürlich super. Von daher könnte die Antwort durchaus „Ja“ lauten.

Statt als Lehrer arbeiten Sie nun als Netzwerkstelle von ORCA.nrw an der Universität Bielefeld. Wie beschreiben Sie Freundinnen und Freunden, was Ihre berufliche Aufgabe ist?

Homp: Ich muss immer schmunzeln, wenn meine Freundin versucht anderen zu erklären, was ich mache. Da merke ich dann, dass das wohl wirklich schwer in einem Satz zu sagen ist. Die Kurzversion ist: Ich helfe Lehrenden dabei, ihre Lehrmaterialien zu teilen und muss an vielen Stellen vor allem motivieren und überzeugen.

Und die Langversion?

Homp: Als nächstes kommt meistens die Frage nach dem Warum. Warum sollten Lehrende ihr Material teilen? Ich antworte dann immer, dass fast alle guten Erfindungen dieser Welt Ergebnis irgendeiner Art Kollaboration waren. Ich möchte mit meiner Arbeit mithelfen, diese Kultur an Hochschulen zu etablieren und dort, wo schon Ansätze bestehen, weiter zu fördern. Den wichtigen Part meines Jobs, bei dem ich mich mit dem Urheberrecht beschäftige, lasse ich aber meist weg, denn sonst fragen als nächstes immer alle: „Was hat Frank jetzt auch noch mit dem Recht zu tun?“ (lacht)

Wie sieht eine Arbeitswoche bei Ihnen aus?

Homp: Ich stehe sehr viel im Austausch mit Lehrenden an unserer Uni und beantworte ihre Fragen zu OER. Von ganz allgemeinen bis sehr spezifischen ist da viel dabei, sehr häufig geht es aber darum: Darf ich dieses Material unter dieser Lizenz veröffentlichen? Oft ist die juristisch saubere Antwort: nein. Dann versuche ich im direkten Austausch mit den Lehrenden eine Lösung zu finden. Natürlich spreche ich dafür auch mit unserem Justiziar.

Seminarraum
@Universität Bielefeld

Sie sind an der Universität Bielefeld angestellt, sagen aber, Ihr Büro sei der ORCA-Raum.

Homp: Genau, denn zum einen bin ich Ansprechpartner für die Bezugsgruppen an meiner Uni, damit aber natürlich auch Teil des ORCA.nrw-Netzwerks. Es gibt zum Beispiel unsere Community-Plattform, quasi das Facebook für ORCA, auf der wir als über 40 Netzwerkstellen in NRW digital versuchen, Antworten zu geben und uns untereinander auszutauschen, um Wissen und Erfahrungen bestmöglich zu nutzen. Darüber hinaus besteht meine Woche aber auch aus Selbstarbeit, bei der ich zum Beispiel Workshops oder meine Ideen für diverse Arbeitsgruppen des Netzwerks vorbereite.

Die Netzwerkstellen gelten als einzigartig in Deutschland. Was macht sie so besonders?

Homp: Das Wissen der Vielen. Es ist ein bisschen so wie zu Anfang erwähnt: Bei uns weißt du, dass du nicht alleine bist. Das ist wichtig. Alle haben unterschiedliche Erfahrungen mit OER gesammelt, und die helfen sehr oft weiter. Darüber hinaus hat so ziemlich jede Netzwerkstelle einen anderen beruflichen Hintergrund oder Schwerpunkt, teils sogar sehr speziell wie zum Beispiel in der Japanologie. Da bin ich dann immer ganz Ohr.

Wie tauschen Sie sich als Netzwerkstellen untereinander aus?

Homp: Bei ganz konkreten Themen und Fragen direkt im Eins-zu-Eins oder in kleineren Gruppen via Zoom. Die Community-Plattform nutzen wir untereinander natürlich auch, aber es gibt auch Formate, bei denen wir uns persönlich sehen: zum Beispiel die Campus-Tournee, bei der wir uns immer an einer Hochschule treffen, Tagungen oder das große Netzwerk-Gesamttreffen bei ORCA.nrw in Bochum.

Herr Homp, Sie waren vor Ihrem Lehramtsstudium bei der Marine, haben danach lange als Physiotherapeut gearbeitet und später den Weg zurück an die Universität gefunden und Ihren Abschluss in Berufspädagogik gemacht. Inwieweit profitieren Sie von all diesen eigenen Erfahrungen bei Ihrer Arbeit für ORCA.nrw?

Homp: Ich glaube, ich bin kein ultimativer Spezialist in einer Sache, aber ich habe schon ein paar berufliche Stationen hinter mir und denke, dass ich mich an neue Aufgaben und Gegebenheiten daher ganz gut anpassen kann. Ich habe immer versucht zu verstehen, wie Lernprozesse funktionieren. Und ich glaube, dass ich mich auf Menschen und ihre Bedürfnisse recht gut einstellen kann, das brauchst du als Physiotherapeut genauso wie jetzt als Ansprechpartner für offene Bildungsressourcen. Neben allem fachlichen spielt das auch eine wichtige Rolle.

Was ist für Sie das Faszinierende an OER?

Homp: Ich erzähle dazu immer gerne die Anekdote, wie OER entstanden sein könnte – nämlich am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Dort haben Wissenschaftler*innen gemerkt, dass unfassbar viele digitale Lehrmaterialien vorhanden waren, und dann die Frage in den Raum geworfen: „Warum stellen wir sie nicht zur freien Verfügung?“ Ausgerechnet in den USA, wo Bildung im Vergleich zum Beispiel zu Deutschland mitunter sehr teuer ist. Seit ich davon gehört habe, fand ich diese Einstellung gut. Man könnte hier in Deutschland auch sagen: Bildung wird mit öffentlichen Geldern bezahlt, also gibt es auch eine moralische Pflicht, etwas zurückzugeben.

Vielen Dank für das Gespräch. Wir möchten in der kommenden Zeit gerne auch Ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Netzwerk kennenlernen, deshalb haben Sie nun die Qual der Wahl: Wer soll in der nächsten Ausgabe interviewt werden und wie soll die Einstiegsfrage lauten?

Homp: Bianca Geurden von der Universität Siegen. Und ich würde sie gerne fragen, welches Wort, das einen abstrakten Begriff ausdrückt, sie ihrem bald zur Welt kommenden Nachwuchs als erstes gerne erklären möchte.