„KI:edu hat wichtige Grundlagen geschaffen, auf denen wir aufbauen wollen“
Im Projekt KI:edu.nrw wird exemplarisch erarbeitet, wie Regeln, Konzepte, Prozesse und Technik für den Einsatz von Learning Analytics ausgestaltet werden können. Beheimatet ist das Projekt an der Ruhr-Universität Bochum, die RWTH Aachen ist partnerschaftlich verbunden. Nun ist die erste Phase des Projekts abgeschlossen. Grund genug, mit Projektleiter Dr. Peter Salden sowie Projektkoordinator Jonas Leschke für ein Resümee zu sprechen. Im Interview berichten die beiden über überraschende Erkenntnisse und Veränderungen in der Hochschulwelt und im Projekt und geben einen Ausblick, wie es mit KI:edu.nrw weitergeht.
Ein Gastbeitrag von Stephanie Merten, KI:edu.nrw
Das Projekt neigt sich nun dem Ende zu und drei Jahre Projektarbeit liegen hinter euch. Wie blickt ihr auf das Projekt zurück? Was geht euch durch den Kopf?
Peter Salden: Ich habe gerade die Texte gelesen, die von den Teilprojekten für unseren abschließenden Sammelband geschrieben wurden. Es hat mich nochmal beeindruckt, wie vielfältig die in KI:edu bearbeiteten Themen waren, von Technik über Didaktik, Ethik, Recht und Studienberatung bis hin zu fachspezifischen Anwendungen. Mir ging aber auch noch einmal durch den Kopf, dass wir genau diesen breiten Blick brauchen, um dem Thema gerecht zu werden. Denn KI in der Hochschule ist etwas, was man nur gemeinsam mit allen lehrbezogenen Akteur*innen bearbeiten kann.
Jonas Leschke: Für mich sind es ja nur gut zwei Jahre gewesen, da ich erst später im Projekt gestartet bin. Ich konnte mich daher schon ins gemachte Nest setzen. Ich blicke glücklich auf diese Zeit zurück und denke, dass wir in einem großartigen Team ein super Projektergebnis erarbeitet haben. Für die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen in der Projektgruppe bin ich sehr dankbar. Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich sehr viel von den Kolleg*innen gelernt habe und immer dazu ermutigen würde, solche Praxisprojekte groß und interdisziplinär anzulegen. Das bringt auch Herausforderungen mit sich, die sich in meinem Empfinden aber im Projektergebnis auszahlen.
Welche Erwartungen hattet ihr zu Beginn an das Projekt und euch selbst?
Salden: Als wir das Projekt im Jahr 2020 dem Wissenschaftsministerium vorgeschlagen haben, standen KI und Learning Analytics auf der Agenda der Hochschulen noch weit unten. Es war ein Forschungsthema, aber an den Einsatz in der Praxis der Hochschulen dachten die wenigsten. Meine Vorstellung war, dass wir über KI:edu besser verstehen können, was dieser Praxiseinsatz bedeuten wird und dass wir möglichst viele Hochschulen auf dem Weg dorthin mitnehmen und unterstützen können. Sicherlich war KI:edu nur ein Baustein von vielen, dass die Lage heute im Vergleich zum Jahr 2020 ganz anders ist. Ich glaube aber schon, dass wir einen guten inhaltlichen Beitrag leisten konnten, dass wir heute an einer anderen Stelle stehen.
Leschke: Ich weiß noch, dass als ich die Stellenausschreibung für die Projektkoordination gesehen habe, mit meiner Frau mit großer Skepsis darüber gesprochen habe, ob Learning Analytics mit meinem konstruktivistischen Lernverständnis vereinbar sein kann. Nachdem ich dann aber mit Peter telefoniert habe, hatte ich ein gutes Gefühl und habe mich dann doch beworben. Meine Erwartung an mich war daher, dass ich ein breites Bildungsverständnis in das Projekt einbringen möchte. Ich wollte nicht, dass Hochschullehre auf Zahlen und Noten reduziert wird. Ich glaube, das ist uns im Projekt auch gelungen.
Gibt es einen (Fach-)Bereich, der euch im Projekt besonders überrascht hat?
Leschke: Um die vielen positiven Erfahrungen aufzuzählen, bräuchten wir viel Zeit. Ganz grundsätzlich hat mich immer wieder beeindruckt, wie motiviert und lösungsorientiert die Kolleg*innen an die Fragestellungen im Projekt herangegangen sind. Durch die unterschiedlichen fachlichen Sozialisationen der Mitarbeitenden ist es durchaus zu Missverständnissen gekommen. Diese wurden dann allerdings nicht zu Barrieren zwischen den Kolleg*innen, sondern durch Kollegialität und Empathie zu einer für alle Seiten vertretbaren Lösung. Als konkretes Beispiel kann ich den Datenschutz nennen. Das klassische Argument gegen Lerndatenanalyse ist ja, dass diese nicht mit dem Datenschutz vereinbar sei. Die Datenschutzkollegen im Projekt haben allerdings gezeigt, dass ein intensiver, konstruktiver Umgang mit den Datenschutzfragen letztendlich doch zu einer praktikablen Lösung führen kann.
Salden: Auch wenn wir das Thema ja schon länger im Projekt hatten, hat mich vor allem überrascht, dass der Bereich generative KI mit einer solchen Geschwindigkeit an Dynamik gewonnen hat. Auch in anderen Bereichen habe ich aber jedenfalls noch dazugelernt. Positiv war in meinen Augen beispielsweise, dass wir, so wie Jonas es schon beschrieben hat, durch den engen Einbezug der Datenschutzbeauftragten gangbare Wege aufzeigen konnten, wie man Learning Analytics datenschutzkonform umsetzen kann. Als Schwierigkeit kann ich nennen, dass man doch recht häufig im Austausch mit projektexternen Personen wieder ganz grundlegende Dinge erklären muss. Man darf bei dem Thema in der Breite der Hochschule wirklich nicht viel Wissen voraussetzen.
Hat sich eure Sicht auf Learning Analytics und KI in der Hochschule durch das Projekt verändert und wenn ja, auf welche Weise?
Leschke: Ja, definitiv. Ich bin aufgrund meines didaktischen Grundverständnisses wirklich skeptisch in das Projekt gestartet. Wie eben gesagt, habe ich ein konstruktivistisches Lernverständnis und war auch lange zu Beginn meiner Arbeit im Projekt nicht sicher, ob ich dieses mit dem Projekt vereinen kann. Durch das Projekt habe ich gelernt, dass Learning Analytics, aber auch KI, keinesfalls ein instruktives Lernverständnis meint. Heute bin ich davon überzeugt, dass Learning Analytics und KI die Hochschullehre positiv beeinflussen kann und wird.
Salden: Ich habe zu Beginn des Projekts die Bereiche Learning Analytics und generative KI noch unabhängig voneinander gesehen. Inzwischen sehe ich gerade in der Verbindung beider Bereiche Chancen, leistungsstarke persönliche Lernassistenzsysteme zu entwickeln. Generative KI habe ich dabei ursprünglich vor allem im Bereich Schreiben gesehen. Inzwischen gehen die Anwendungsfelder aber ja deutlich darüber hinaus, so dass für mich auch schon wieder in Frage steht, ob wir überhaupt die von uns ja eigentlich angestrebte umfangreiche Erfassung von Lerndaten brauchen. Möglicherweise wird dank der Möglichkeiten generativer KI die komplexe systemübergreifende Erfassung von Lerndaten gar nicht mehr notwendig sein, um individualisiertes Lernen zu ermöglichen. Hier bin ich aber einfach gespannt auf die Entwicklungen der nächsten Jahre.
Inwiefern hat die Einführung von ChatGPT bzw. generativer KI die Projektarbeit verändert?
Salden: Auch wenn wir das Thema generative KI ja schon vor ChatGPT im Projekt bearbeitet haben – nach meiner Einschätzung war es übrigens die erste praxisorientierte Projektstelle zu diesem Thema in ganz Deutschland – kann man die veränderte Dynamik nicht überschätzen. Im letzten Projektjahr hat uns dieses Thema viel stärker beschäftigt als erwartet und von uns auch in mancherlei Hinsicht ein verändertes Arbeiten gefordert. Wir hatten zwischenzeitlich sehr viel mit Medienanfragen zu tun, haben sehr viele Vorträge in ganz Deutschland gehalten und waren auch viel im politischen Kontext unterwegs, also z.B. im Dialog mit Parteien, Ministerien, mit der Kultusministerkonferenz und dem NRW-Landtag. Das hat sicherlich auch unseren Horizont erweitert, den gesellschaftlichen Kontext von Bildung und Didaktik nochmal anders zu betrachten – beispielsweise, was die Verantwortung von Bildung für die Gesellschaft angeht oder wie Rahmenbedingungen für Bildungseinrichtungen entstehen.
Leschke: Die medienwirksame Bereitstellung von ChatGPT hat definitiv auch einige Veränderungen in der Projektarbeit mit sich gebracht. Bevor ChatGPT veröffentlicht wurde, haben wir uns bemüht, bestmöglich über KI in der Hochschullehre zu informieren. Die Reaktionen waren dann häufig so, „dass man sich irgendwann in der Zukunft mal damit beschäftigen wolle“. Dann kam generative KI in der breiten öffentlichen Wahrnehmung an und plötzlich folgte eine Anfrage nach der anderen. Ich glaube, dass die Außenwahrnehmung über das Projekt plötzlich auch viel stärker von KI geprägt war, sicher auch wegen des Gutachtens. Die Arbeit um Learning Analytics hörte aber keinesfalls auf und wir haben hierzu auch weiterhin wichtige Ergebnisse erarbeitet. Learning Analytics hat auch in Zeiten von generativer KI große didaktische Potenziale; auch oder gerade im Zusammenspiel mit generativer KI.
Gibt es etwas, dass ihr in der nächsten Förderphase anders machen würdet und wenn ja, was?
Leschke: Es wäre sicher vermessen zu sagen, dass das Projekt nicht hätte irgendwo besser ablaufen können. Dennoch bin ich absolut zufrieden. Eine wichtige, aber doch etwas späte Erkenntnis war, dass wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit durch die gemeinsame Arbeit an konkreten Produkten stärken können. Konkret fällt mir da die Arbeit um ein gemeinsames Verständnis zum Studienerfolgsbegriff ein. Wir haben dieses Verständnis gemeinsam herausgearbeitet und in einem Papier festgehalten. Das hat das gegenseitige Verständnis verbessert und die Kommunikation im Projekt auch über dieses Thema hinaus gestärkt. In der kommenden Förderphase werden wir als Konsortialprojekt auch stärker hochschulübergreifend arbeiten. Ich überlege schon jetzt, an welchem gemeinsamen Produkt wir diese Zusammenarbeit stärken können.
Salden: Mir fällt nicht der eine große Fehler ein, bei dem ich sagen würde: Das hätten wir anders machen sollen! Ich gehe aber in das Folgeprojekt natürlich mit einer anderen Erfahrung hinein und sehe manches anders oder klarer als vor dem ersten Projekt. Eine ganz zentrale Erfahrung kommt für mich aus dem Bereich generative KI. Wir hatten zu dem Thema schon vor ChatGPT viele Vorträge, bei denen, wie Jonas schon sagte, die Zuhörer*innen die Möglichkeiten von generativer KI zwar interessant fanden, aber doch nicht richtig glauben konnten, dass das funktionieren oder die Hochschulen beeinflussen wird. Ich denke heute, dass diese Sicht mit dem eigenen Selbst- und Menschenbild zu tun hatte: Wir möchten manchmal nicht wahrhaben, dass Computerprogramme etwas genauso gut oder besser können wie wir selbst. Ich denke, dass man sich nicht scheuen darf, beim Thema KI in diese Richtung zu denken. Manchmal braucht es vielleicht eine gewisse Radikalität im Denken, um eine Vorstellung von der Zukunft zu entwickeln und diese dann positiv zu gestalten. Dies kann in Zukunft z.B. die Fragen betreffen, inwieweit KI wissenschaftliche Erkenntnis hervorbringen wird und in welcher Hinsicht Lehrassistenzsysteme Studierenden besser Feedback geben können als Lehrende.
Was nehmt ihr aus der Zusammenarbeit miteinander und mit den Projektpartner*innen für euch mit?
Salden: Was uns von Beginn an in KI:edu besonders wichtig war, war das Thema Vernetzung und Zusammenarbeit. Das betraf unsere interdisziplinäre Projektgruppe, aber auch von uns organisierte Formate wie die Vernetzung der Nordrhein-Westfälischen Forschungs- und Praxisprojekte zu KI sowie die Organisation der Learning AID-Tagung. Die interdisziplinäre und hochschulübergreifende Zusammenarbeit ist gerade bei diesem Thema unheimlich wichtig. Wir sollten beispielsweise technische und rechtliche Fragen nicht an jeder Hochschule alleine klären, sondern werden das im Verbund besser schaffen. Zudem wird jeder einzelne Bereich (wie z.B. die Technik oder die Didaktik) seine Aufgaben besser lösen, wenn er Input aus anderen Bereichen erhält – eben im Sinne von Interdisziplinarität.
Leschke: Peter und ich haben sehr eng zusammengearbeitet. Das kannte ich bisher so nicht. Letztendlich hat uns das aber in verschiedenen Situationen geholfen, für die andere Person einzuspringen, wenn bspw. mal jemand krank oder im Urlaub war. Zudem konnten wir durch diese Form der Zusammenarbeit mögliche Probleme bereits in der Entstehung auflösen und natürlich im Austausch kreative Ideen wie die Learning AID-Tagung entwickeln. Diese enge Zusammenarbeit kann in der Form natürlich nicht mit und zwischen allen Projektpartner*innen funktionieren. Hier hat mir als Projektkoordination insbesondere die Offenheit und Bereitschaft, sich gegenseitig auch kurzfristig zu unterstützen und auszutauschen, sehr geholfen. Falls wir bspw. in Gremien oder Netzwerken das Projekt vorgestellt haben, konnte ich mir immer der Unterstützung der Kolleg*innen sicher sein. Sei es, dass sie mir notwendige Informationen gegeben haben oder auch selbst spontan an Treffen teilgenommen haben. Die Projektarbeit war von einem Teamgefühl, gegenseitiger Wertschätzung und Offenheit geprägt und das sage ich, weil ich es wirklich so meine und nicht, weil es die üblichen Buzzwords sind.
Worauf freut ihr euch in der zweiten Förderphase?
Leschke: Sicherlich, dass wir die Arbeiten aus der ersten Projektphase fortsetzen können. Durch die Ergebnisse aus den ersten drei Jahren haben wir nun eine ganz andere Ausgangsbasis für die weitere Projektarbeit. Wir können über eine konkrete technische Infrastruktur sprechen, haben grundsätzliche datenschutzrechtliche Fragestellungen geklärt und können auch für didaktische Fragen fundierte Entscheidungen treffen. Vor drei Jahren waren wir Projektmitarbeiter*innen im Grunde alle Quereinsteiger*innen im Bereich Learning Analytics und KI in der Hochschullehre. Das ist nun nicht mehr so und diesen Schwung mitzunehmen, freut mich wirklich sehr.
Salden: Ich bin einfach gespannt, wie es mit dem Thema weitergeht, weil ich glaube, dass die Veränderung der Hochschulen durch KI noch nicht gut genug verstanden wurde. Zugleich muss sie aufgrund der schnellen Entwicklung in diesem Bereich aber auch immer wieder neu verstanden werden. KI:edu hat hier wichtige Grundlagen geschaffen, auf die man nun aufbauen kann. Ich freue mich außerdem, dass wir in der zweiten Förderphase schon auf ein viel stärkeres, sehr interessantes Netzwerk von Kooperationspartner*innen zurückgreifen können. Ich freue mich also darauf, ein spannendes Thema mit interessanten und in aller Regel netten Menschen weiter bearbeiten zu dürfen – das ist ein echtes Privileg!
Was möchtet ihr abschließend noch sagen?
Salden: Ich bedanke mich bei den vielen Beteiligten, die das Projekt in der ersten Förderrunde zu einem Erfolg gemacht haben. Das waren natürlich zuallererst die unmittelbaren Mitglieder der Projektgruppe – einschließlich unserer Kooperationspartner von der RWTH Aachen um Malte Persike – aber auch viele andere Menschen aus unterschiedlichen Kontexten, die ich gar nicht alle aufzählen kann. Danken möchte ich auch noch einmal dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, denn – man kann es sich kaum noch vorstellen – als das Projekt begann, war die Förderung zum Thema KI doch auch noch ein bisschen ungewöhnlich und mutig. Ich denke, inzwischen ist aber allen klar, wie wichtig das Thema KI für uns in den Hochschulen ist und bleiben wird.
Leschke: Ich kann mir da nur anschließen. Danke an alle Beteiligten innerhalb und außerhalb des Projekts. Ich freue mich schon darauf, mich auch in Zukunft dazu mit Euch und Ihnen auszutauschen!