Ein Kompass für die digitale Lehre: Digitalkompetenz und Digitale Ethik

Allein damit, dass der Beamer funktioniert, ist es bei der digitalen Lehre noch lange nicht getan: Warum digitale Hochschulbildung auch Ethik braucht und welche Tools dabei unterstützen können.

Das Leben in vernetzten Welten ist unübersichtlich geworden: Internet und Digitalisierung waren in den 90er Jahren als hoffnungsvolle Instrumente der Befreiung gestartet und scheinen nun doch, im Zeitalter des „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff), zu Instrumenten der Unterdrückung geworden zu sein (so zumindest die geläufige Wahrnehmung im Globalen Norden – im Süden fällt das Urteil etwas anders aus). Angesichts von Herausforderungen wie Fake News, Datenschutzskandalen und Künstlicher Intelligenz wird eines immer deutlicher: digitales Lehren und Lernen ist ohne einen digitalethischen Kompass unmöglich.

Digitalkompetenzbaum

Copyright Kompetenzbaum: Grimm, Petra/Müller, Michael/Trost, Kai-Erik (2021): Werte, Ängste, Hoffnungen. Das Erleben der Digitalisierung in der erzählten Alltagswelt. Baden-Baden: Academia, S. 158.

An welchem Norden ließe sich ein solcher digitalethischer Kompass in der digitalen Lehre ausrichten? Das Team des Forschungsprojekts „Digital//Dialog21“ am Institut für Digitale Ethik (IDE) der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart hat dafür den Begriff der Digitalkompetenz erarbeitet. Digitalkompetenz beginnt mit der Frage, welche individuellen Fähigkeiten notwendig sind, um ein gutes und menschenwürdiges Leben in der Digitalität zu ermöglichen. Sie schließt sich damit an den Capabilities Approach von Martha Nussbaum sowie an Aristoteles‘ Tugendethik an. Diese Fähigkeiten zu vermitteln sollte im Zentrum einer digitalen Lehre stehen. Der Kompetenzbaum fasst die acht wichtigsten dieser Fähigkeiten zusammen, die das Forschungsteam in der Publikation „Werte, Ängste, Hoffnungen“ auf der Grundlage einer empirischen Befragung identifizieren konnte.

Tools für die Förderung der Digitalkompetenz

Wie wird Digitalkompetenz konkret? Indem man akzeptiert, dass reines Auswendiglernen allein nicht weiterhilft. Der Mensch ist ein homo narrans, das Tier, das erzählt. Eine werteorientierte Haltung und eine Vision für die Zukunft entwickeln wir nicht (nur) auf Basis von rationalen Fakten, sondern vor allem in den Erzählungen und Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählen. Eine narrative Ethik kann sich das zu Nutze machen.

Ein Beispiel dafür ist das Buch „Märchen und Erzählungen der Digitalen Ethik“, das am IDE entstanden ist und als kostenloses E-Book zur Verfügung steht. Anhand von sieben Geschichten vermittelt das Buch zentrale Wertekonflikte in der digitalen Welt. Ein Arbeitsbuch lädt dazu ein, die eigene digitalethische Reflexion mit verschiedenen Methoden fortzusetzen. So wird es möglich, über die mit der Digitalisierung verbunden Herausforderungen zu sprechen, ohne ein allzu hohes Niveau an technischen Vorkenntnissen voraussetzen zu müssen. Denn diese Herausforderungen gehen uns alle an.

Ein zweites Beispiel ist das medienethische Online-Tool „Privatomat“, das ebenfalls am IDE entwickelt wurde. Mithilfe von 15 Fragen aus verschiedenen Bereichen des digitalen Alltags können die Nutzerinnen und Nutzer ihrem Verhalten und ihren Gewohnheiten im Netz auf die Spur kommen. Am Ende zeigt der Privatomat an, welcher Datenschutztyp am ehesten zum eigenen Profil passt, und gibt hilfreiche Tipps, um das eigene Wissen über Datenschutz und Privatheit zu vervollständigen. So regt der Privatomat einen digitalethischen Reflexionsprozess im besten Sinne an.

Ausblick: Digitalkompetenz für Nutzer und Entwickler

Digitalkompetenz bleibt dabei jedoch nicht bei den Nutzerinnen und Nutzern stehen. Denn an den Hochschulen bilden wir auch die zukünftigen Programmiererinnen und Programmierer von morgen aus. Für sie bedeutet Digitalkompetenz ebenfalls, in ihren Alltag und in die Produkte, die sie entwickeln, eine digitalethische Haltung zu integrieren. Zur Digitalkompetenz hinzu kommt der Ansatz des „Ethics by Design“: Digitale Ethik von Anfang an. Die beiden jüngsten Forschungsprojekte des IDE, SHUFFLE und IKID, gehen diesen Weg. Bei SHUFFLE geht es um den Ausbau der digitalen Barrierefreiheit in der Hochschullehre. Bei IKID geht es darum, am Beispiel von acht Demonstratoren zu ausgewählten Anwendungsgebieten der Künstlichen Intelligenz die Perspektive der Digitalen Ethik zusammen mit denen der Ökonomie, des Rechts und der Informatik im Rahmen einer integrierten Lehre direkt an die zukünftigen Programmierer von morgen zu vermitteln. Digitalkompetenz in der Lehre setzt so nicht erst ein, wenn der Beamer schon läuft – sondern bei der Frage, welchen Beamer wir überhaupt aufbauen wollen.