KI in Zeiten des Lehrermangels: Können Mensch und Maschine im Bildungssystem zusammenarbeiten?

In zehn Jahren sollen laut einer Studie 85.000 Lehrerstellen in Deutschland unbesetzt sein. Künstliche Intelligenz kann ein Teil der Lösung dieses Problems sein, allerdings gibt es auch Bedenken. Auch, ob Lehrende durch den vermehrten Einsatz von KI überflüssig würden. Dr. Stefan Pietrusky hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und präsentiert mit dem ABBA-Modell einen Ansatz, wie KI praxisnah in der Lehre eingesetzt werden kann. Für Interessierte: Am 11. Februar stellt er das Modell im Rahmen der Veranstaltungsreihe „KI-Kompetenzen stärken mit ORCA.nrw“ – Anmeldungen sind noch möglich.

Gastbeitrag von Dr. Stefan Pietrusky, PH Heidelberg

Dr. Stefan Pietrusky

Kommunikation spielt im Kontext pädagogischer Handlungsfelder eine zentrale Rolle und kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Eine wichtige Ebene ist die interpersonelle, bei der es um die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern geht. Ein wesentliches Ziel dieser Kommunikation ist der Austausch von Informationen. Wenn aber wegen Lehrermangels Unterricht nicht durchgeführt werden kann, findet diese Kommunikation nicht statt und damit auch kein Austausch von Informationen. Doch was passiert, wenn durch den Lehrermangel, Unterricht nicht stattfinden kann?  In solchen Fällen kommt es zu keinem notwendigen Wissensaustausch. Langfristig betrachtet, stellt der Lehrermangel ein ernstes Problem dar, wie verschiedene Prognosen belegen. Im Auftrag des VBE hat der Bildungsexperte Klaus Klemm eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass im Schuljahr 2035/36 in Deutschland bis zu 85.000 Lehrerstellen unbesetzt sein könnten. Eine andere Studie des Instituts für deutsche Wirtschaft (IW) prognostiziert für dasselbe Schuljahr 66.000 nicht besetzte Stellen. Wenn man die Teilzeitarbeit nicht berücksichtigt, steigt die Zahl auf 76.000. Im Vergleich dazu war die Prognose der KMK für 2022 noch bei 24.000 fehlenden Lehrkräften, doch diese wurde 2023 auch auf 65.000 angehoben (IW Köln, 2022). Diese Daten verdeutlichen die Notwendigkeit, sich bereits jetzt Gedanken über alternative Formen des Informationsaustauschs zu machen.   

Da die Ausbildung neuer Lehrer Jahre dauert, stellt sich die Frage, ob der Einsatz von KI eine Lösung sein könnte, um Unterrichtsausfälle kurzfristig aufzufangen?

Im Rahmen eines KI-Forums, an dem ich teilgenommen habe, äußerten einige Teilnehmer die Sorge, ob man sich nicht selbst überflüssig macht, wenn man KI in Lehrveranstaltungen oder in der Forschung einsetzen würde. Ähnliche Bedenken wurden auch auf der Tagung von ORCA.nrw geäußert, die sich mit dem Einsatz von KI in der Hochschulbildung beschäftigte. Es wurde während der Fragerunde die Befürchtung geäußert, dass die Motivation der Lernenden sinken könnte, wenn sie wüssten, dass die verwendeten Lehr- oder Lernmedien von einer KI erstellt wurden. Eine andere Person vertrat die Meinung, dass KI lediglich für die Produktion von Lernmedien bei trivialen Themen sinnvoll verwendet werden kann, nicht aber bei komplexeren Themen. Auch in anderen Situationen höre ich oft kritische Meinungen, wenn es um den Einsatz von KI im Bildungsbereich geht.

Es scheint so, dass kritische Stimmen eher von Lehrenden geäußert werden als von denen, die an der Entwicklung von KI beteiligt sind. Im Austausch mit Studenten, insbesondere im Rahmen von Prototypen-Erprobungen, nehme ich hingegen häufig eine positive Einstellung gegenüber der Nutzung von KI wahr . Es scheint einen Unterschied zwischen Personen zu geben, die bereits aktiv in der Lehre tätig sind und denen, die dies noch nicht sind.

Derzeit gibt es leider keine Studien, die spezifisch Lehrkräfte zu ihren Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von KI in ihrem Berufsfeld befragen. Anhand meiner persönlichen Erfahrungen kann ich jedoch sagen, dass die Angst vor dieser Technologie in Teilen der Lehrenden  spürbar ist. Die Ängste resultieren häufig aus einer mangelnden KI-Kompetenz, wodurch der sich ergebende Mehrwert leider nicht erkannt wird. Im Bildungskontext geht es konkret darum, die Lehrer bei ihrer täglichen Arbeit zu entlasten und die Unterrichtsqualität zu verbessern.

Zukünftig wird es durch den Lehrermangel jedoch auch entscheidend sein, sicherzustellen, dass Unterricht und damit der Austausch von Informationen überhaupt noch stattfinden kann.

KI bietet spannende Ansätze, um den Lehrermangel zu entschärfen und die Unterrichtsausfälle zu minimieren, beispielsweise durch den Einsatz von KI-gestützten Plattformen, wie Chatbots, die individuell auf Schüleranfragen eingehen können, durch die Automatisierung von Routineaufgaben, wie die Korrektur von Tests und die Erstellung von Lernmaterialien, durch flexiblen Zugang zu Bildung durch online-Unterricht mit KI-gestützten Lehrprogrammen, die Schüler personalisiert unterstützen.

Um den genannten Ängsten, Befürchtungen und Sorgen entgegenzuwirken, ist der Aufbau von KI-Kompetenzen erforderlich. Das Ziel sollte sein, die durch diese Technologie entstehenden Möglichkeiten sichtbar zu machen. Im Zusammenhang mit der Vermittlung von Kompetenzen sind deshalb auch konkrete Anwendungen notwendig, die einen klar erkennbaren Mehrwert bieten. Ein Beispiel dafür ist der Prototyp ABBA, der im Rahmen der ORCA.nrw-Tagung vorgestellt wurde (siehe Abbildung 1).

Funktionsweise ABBA-V1

Abbildung 1: Funktionsweise ABBA-V1

ABBA steht für AUTOMATIC BOOK BUILDING APP und wie der Name schon andeutet,  ermöglicht ABBA die automatische Generierung von interaktiven Lernmedien und zeigt eindrucksvoll, wie KI praxisnah in der Lehre eingesetzt werden kann. Eine Weiterentwicklung der Anwendung wird im Rahmen der ORCA.nrw Vortragsreihe „KI-Kompetenzen stärken“ am 11.02.25 vorgestellt.

Wie ein Lehrer in der Lehrer-Schüler-Kommunikation soll auch ABBA in einer Maschinen-Schüler-Kommunikation eingesetzt werden, um den Austausch von Informationen zu fördern. In der ersten Version der Anwendung ist bereits eine Chatfunktion integriert, die es den Lernenden ermöglicht,  sich vertiefend mit dem Modell über die Inhalte des jeweiligen Kapitels  auszutauschen. In der weiterentwickelten Version wird ABBA um Funktionen im Bereich der Lernzielkontrolle ergänzt. Hierbei sollen offene Fragestellungen enthalten sein, die von den Schülern beantwortet und anschließend von dem Modell beurteilt werden.

Die Beurteilung erfolgt anhand von Kriterien wie Argumentationsqualität, Kontextbezug und Originalität, die von Lehrenden individuell definiert werden können. Um dies zu ermöglichen, wird in ABBA ein weiterer Prototyp im Rahmen einer umfangreicheren KI-Strategie implementiert (siehe Abbildung 2).

Übersicht KI-Strategie

Abbildung 2: Übersicht KI-Strategie

Konkret geht es um die Anwendung IQM-V1 (INTELLIGENT QUESTION MAKER), die automatisch unterschiedliche Fragetypen zu jedem Thema generieren kann. IQM-V1 soll als KI unterstützte Alternative zur H5P etabliert werden. Zudem ist eine direkte Kommunikation mit dem Lernmedium ebenfalls geplant. So soll Text-To-Speech (TTS) zum Einsatz kommen, um generierte Inhalte vorgelesen zubekommen, während Lernende ihre Antworten auf Fragen direkt einsprechen können. Um diese Funktionalitäten zu unterstützen und die Interaktivität zu erhöhen, wird auch der Ansatz eines weiteren Prototyps (QUEST-V1) ebenfalls in ABBA integriert.

Fazit

Die Befürchtung der Lehrenden, durch KI ersetzt zu werden, ist unbegründet. KI kann Lehrende zwar unterstützen und entlasten, aber die menschliche Interaktion nicht ersetzen.

Aufgrund des Lehrermangels sollten Lehrende und KI effektiv zusammenarbeiten, um Unterrichtsausfälle zu minimieren und gleichzeitig die Unterrichtsqualität zu sichern. Dies setzt voraus, dass Lehrende sich kontinuierlich mit KI und ihren Anwendungsmöglichkeiten im Unterricht vertraut machen. In den kommenden Jahren werden Maschinen zunehmend dort zum Einsatz kommen, wo Lehrkräfte fehlen und Stellen unbesetzt bleiben. Für Lehrende wird KI jedoch vor allem ein unterstützendes Werkzeug sein, das die tägliche Arbeit erleichtert.

Angesichts der alarmierenden Prognosen zum Lehrkräftemangel in Deutschland stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob Maschinen in der Bildung eingesetzt werden, sondern vielmehr, wann.

Quelle

IW Köln. (2022). Prognosen zum Lehrermangel in Deutschland bis zum Schuljahr 2035/36 [Graph]. In Statista. Zugriff am 27. November 2024, von https://urlz.fr/tdE5